Die Suche nach dem heiligen Gral der geschlossenen Kopfhörer
Wir wir alle wissen, ist die Suche nach dem “perfekten” Kopfhörer wohl mindestens ebenso kontrovers und subjektiv, wie die Suche nach dem “perfekten” Gesangsmikrofon. Die letzten Jahre habe ich zum Editieren und gelegentlicher Mix-Kontrolle einen offenen DT 880 Pro von Beyerdynamic eingesetzt und war/bin damit eigentlich sehr zufrieden. Für eine aktuelle Live-Produktion brauchte ich nun aber einen geschlossenen Kopfhörer mit den folgenden Haupteigenschaften:
- gute Isolation (Fremdschallunterdrückung)
- realistische Basswiedergabe, d.h. nicht zu viel und nicht zu wenig
- komfortabler Sitz
- Budget bis ca. € 300,-
In die engere Wahl hatte ich den Klassiker DT-770 von Beyerdynamic, den ATH-M50 X sowie den brandneuen ATH-M70 X von Audio-Technica, und den Spirit Professional von Focal gezogen. Bei dem DT-770 hatte ich mir einen vergleichbaren Klang zum DT-880 erhofft. Die Modelle von Audio-Technica konnte ich kurz auf einer Messe hören, wo mir vor allem der M70 gut gefiel. Der Focal Kopfhörer wiederum wurde mir von einem Kollegen empfohlen.
Ich habe dann in den darauffolgenden Wochen alle dieser Modelle getestet. Vom DT-770 gibt es ja mehrere Ausführungen mit diversen Impedanzen. Da ich die Kopfhörer an wechselnden Verstärkern einsetzen muss, wäre eine zu hohe Impedanz möglicherweise ungünstig. Meine Wahl viel deshalb auf den DT 770 M mit 80 Ohm Nennimpedanz. Mangelnde Lautstärke kann man diesem Modell definitiv nicht vorwerfen. Beim Hörtest waren dann die Höhen auch durchaus wie erhofft vergleichbar mit meinem DT 880. Allerdings hat mich die Basswiedergabe dann doch sehr enttäuscht – kaum Pegel in der untersten Oktave zwischen 40 und 80 Hz. Dafür eine ziemliche Betonung um 150 Hz, die alles recht holzig klingen lässt. Außerdem hinterließen Verarbeitung und Verpackung keinen guten Eindruck. Das festinstallierte (damit wartungsunfreundliche) Kabel mit für mich unpraktischer Lautstärkeregelung war dann das finale Argument gegen den Kopfhörer von Beyerdynamic. Vielleicht hätte ich alternativ noch den DT 770 Pro probieren sollen, aber man kann halt auch nicht alles durchprobieren.
Beide Audio-Technica Kopfhörer sind sehr leicht und zeichnen sich deshalb durch einen sehr komfortablen Sitz aus. Der ATH-M50 X hat eher zurückhaltende Höhen, was ich für langes Arbeiten eigentlich angenehm finde. Andererseits sind aber die Bässe deutlich überbetont. Der ATH-M70 X hingegen klingt deutlich brillianter – für meinen Geschmack schon zu viel des Guten, daher leider nicht das Richtige für mich. Außerdem ist der M70 in dieser Reihe der Kopfhörer der Teuerste.
Es blieb also noch der Focal Spirit Professional Kopfhörer und dieser konnte mich dann endlich (und nur vier Tage vor Produktionsbeginn) voll überzeugen. Der gute Eindruck fing schon bei der wirklich sehr edlen Verpackung an, die ähnlich wie bei Apple Produkten einfach bis ins letzte Detail total gut gemacht ist. Mit dabei sind zwei Kabel: Ein langes Spiralkabel und ein “gerades” Kabel mit integriertem Mikrofon und Schalter zur Bedienung des Smartphones. Cool!
Nach kurzer Zeit des Einhörens bin ich dann bei der Produktion richtig gut mit dem Focal klargekommen. Ich musste für die Live-Aufnahme im gleichen Raum wie die Band sitzen und konnte trotz ordentlichem Schlagzeug und Bläser-Alarm alles gut beurteilen. Der Bassbereich klingt für mich genau richtig und die Beurteilung der Phasenlage bei Bassdrum-Mikrofonen und anderen Signalen am Schlagzeug war problemlos. Auch nach mehreren Stunden Produktion konnte ich mich auch als Brillenträger nicht über Kopfschmerzen oder Druckstellen beschweren.
Ist der Focal nun der “heilige Gral” der geschlossenen Kopfhörer? Vermutlich nicht, aber das muss ohnehin jeder selbst beurteilen. Für mich funktioniert er super und ist mit € 259,- auch noch ganz bezahlbar. Für die nächsten Jahre hat sich diese Investition mit Sicherheit erstmal gelohnt!
Wie siehts bei euch mit den Vorlieben unter den geschlossenen Kopfhörern aus? Was sind eure Favoriten? Habt ihr euern “heiligen Gral” gefunden oder sucht ihr noch?
2 Comments Already
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Hallo Julian,
klasse Post, danke!
Naja, den “heiligen Gral” bei Audiogeräten wird man wohl ewig weitersuchen (und hier und da auch ab und zu mal “austauschen”), schon allein weil immer neue Geräte auf den Markt kommen. Ist aber prima, zum einen wegen technischer Verbesserungen, zum anderen weil die Suche nach dem optimalen Gerät schon selbst einen großen Teil der Freude ausmacht (bei mir jedenfalls).
Ein bißchen gilt hier also “Der Weg ist das Ziel”…
Bei mir tat früher hauptsächlich ein HD600 seinen Dienst, aber Außengeräusche sind bei derlei offenen Kopfhörern natürlich selbst in einem abgeschlossenen Studio oft ärgerlich, wenn es nicht richtig schallisoliert ist (der Rasen mähende Nachbar usw.). Die von Dir für Dein Projekt beschriebene Arbeitssituation ist mit HD600 und derlei vollkommen undenkbar, und selbst der beyerdynamic T1, der bei mir seit einiger Zeit den HD600 weitgehend abgelöst hat, würde dafür sicher nicht ausreichen.
Denn der T1 ist ja halboffen, aber für meine Zwecke hat sich diese Konzeption recht gut bewährt.
Vom heiligen Gral würde ich ihn noch einiges entfernt sehen, auch wenn ich keine größeren Vergleichstests unternommen habe wie Du es tatest. Gegenüber dem HD600 war er ein klarer Fortschritt in Räumlichkeit und klanglicher Stimmigkeit. Aber ich empfand doch das Bedürfnis, ihm ein paar Schärfen in den oberen Mitten u. unteren Höhen “abzugewöhnen”. Ob man dabei noch von Frequenzgangeigenheiten reden kann oder bei einzelnen Spitzen eher schon von Resonanzen sprechen muß, mag dahinstehen.
Jedenfalls nutze ich, wenn ich eine VST-fähige DAW als Quelle für den Kopfhörer habe, das Plugin von MathAudio (Headphone EQ), um von mir als unstimmig oder gar unangenehm empfundene Frequenzverläufe in Kopfhörern “auszubügeln”. Die einmal gefundenen Ergebnisse kann man als Korrekturkurve für den jeweiligen Kopfhörer abspeichern und jederzeit wieder in das Plugin laden.
Auf der Suche nach dem Gral fände ich in Sachen Kopfhörer interessant, einmal einigen magnetostatischen Hörern ein Ohr zu leihen, also Audeze, HifiMan usw. Wenn ich’s richtig im Kopf habe, gibt es dort auch Modelle von offen bis geschlossen.
Da Du von der Impedanz sprachst: Natürlich muß ein KH-Verstärker die “cans” ausreichend treiben können; was ja nicht nur bei hohen Impedanzen ein Problem sein kann, wie man allerorten im Blick auf den offenbar notorisch leistungshungrigen HifiMan HE-6 lesen kann (der mit 50 Ohm kein Hochimpedanz-KH ist).
Aber hohe Impedanz geht bei dynamischen Kopfhörern wohl auch einher mit der prinzipiellen Möglichkeit leichterer Spulen, also einem impulsschnelleren Hörer (wie mir einmal ein beyerdynamic-Ingenieur am Telefon erläuterte).
Und ein möglichst hohes Gefälle zwischen Ausgangswiderstand des kopfhörertreibenden Gerätes und KH-Impedanz ist auch nicht übel. Denn die “Verbiegung” des Frequenzgangs des KH, also die “Dämpfungskurve” der Lautstärke über Frequenz, bemißt sich nach dem Quotienten aus KH-Impedanz, geteilt durch Ausgangswiderstand plus KH-Impedanz.
Hat man über den gesamten Frequenzgang eine gleichmäßige KH-Impedanz, gibt es keine zusätzliche Frequenzgang-Verbiegung, denn der Quotient der Lautstärkedämpfung bleibt immer gleich; das ist einer der Vorteile der Magnetostaten.
Aber bei den dynamischen KHs ändert sich die Impedanz mit der Frequenz. Je höher nun der Geräte-Ausgangswiderstand im Verhältnis zur KH-Impedanz ist, desto mehr schlagen die Veränderungen der KH-Impedanz im Quotienten zu Buche, d.h. umso mehr verbiegt sich der Frequenzgang.
Die Audio-Welt bleibt spannend, das ist doch fast die Hauptsache…
…. Ach so, vergaß noch eins zu sagen:
Ich schaue bei Kopfhörern auch immer danach, daß sie vorzugsweise getrennte Zuleitungen zu rechtem und linkem Ohrteil haben.
Denn nur dann kann man sie relativ problemfrei auf symmetrischen Betrieb umrüsten. Haben sie dagegen nur ein einseitiges Zuleitungskabel (Beispiel: AKG 812), wird es in aller Regel so sein, daß man in dieser Zuleitung nur eine Rückleitung findet, also eine für beide Kanäle gemeinsame Leitung. Umrüstung auf symmetrischen Betrieb ist mit solcher Zuführung außen nicht möglich, sondern würde erfordern, daß man den Kopfhörer auseinandernimmt und innen die Zuleitungen von linkem und rechtem Ohrteil auftrennt.
T1 und HD600 sind Beispiele außen getrennter Zuleitungen, die man nur noch unten am Ende steckermäßig von 3-pol. (in aller Regel Stereo-Klinke) auf 2 x XLR oder auf XLR 4-pol. umrüsten muß (je nach Ausgang am KH-treibenden Gerät).
Natürlich bricht mit symmetrischem Betrieb nicht das Klang-Paradies aus, aus einem 50-Euro-Kopfhörer wird damit kein Abyss 1266 oder HD800 usw.
Aber ich habe symmetrischen und unsymmetrischen Betrieb seinerzeit am HD600 verglichen, und mir schien es danach mit meinen beiden Kopfhörern klanglich des Umrüstungsaufwands wert zu sein.
Wenn man also ansonsten (also unter vielen Aspekten des Vergleichs) mehrere Modelle in etwa auf eine Stufe stellt, mag die Symmetrie-Möglichkeit vielleicht ein ausschlaggebender Aspekt der Entscheidung sein…